Sonntags zur Prime-Time: Vorabendkrimi

1. Spieltag: FSV Hansa 07 II – SV Rot-Weiß Viktoria Mitte 6:5 (3:0)

Am frühen Sonntagabend war es belebt um den Tatort Wrangelritze. Zahlreiche Berliner pilgerten in die umliegenden Kneipen, um sich zum Abschluss des Wochenendes den regelmäßig zur Hauptsendezeit ausgestrahlten TV-Krimi anzusehen. Doch der eigentliche Thriller hatte sich bereits ereignet, noch bevor die Kommissare Lannert und Bootz ihre Ermittlungen aufgenommen hatten. In einer nervenaufreibenden Auftaktpartie hatten die Hanseaten am Nachmittag die Elf von Rot-Weiß Viktoria Mitte knapp mit 6:5 besiegt.

Die Vorbereitung auf den heutigen Gegner verlief wie zuletzt generalstabsmäßig. Vergangene Tabellenposition, Torerfolge, und bisherige Testspielergebnisse von Rot-Weiß Mitte wurden penibel zusammengetragen und besprochen. Der Kapitän twitterte noch kurz vor der Begegnung: “moin Jungs, unser Gegner Viktoria Mitte ist am [vergangenen] Sonntag gegen den Bezirksligisten TSV Helgoland nur knapp ausgeschieden. da kommt also eine offensiv-starke truppe auf uns zu!” und stimmte die Mannschaft ein. Der Coach tat es ihm gleich und verlangte nach einer kompakten Defensive. Die Offensivstärke der Rot-Weißen hatte sich rumgesprochen. Selbst das ansonsten von Hansa gepflegte Kurzpassspiel im Aufbau wurde dem Gegner angepasst. Im Notfall galt es den Ball lang in die Hälfte des Gästeteams zu schießen, um den schnellen André Hoss in Szene zu setzen oder aber, um nach Befreiungsschlägen der Rot-Weißen den Ball genau dahin zurück zu befördern wo er herkam, damit der Druck aufrechterhalten bliebe. Das Geschehen um das runde Leder sollte vom eigenen Tor ferngehalten und in die Hälfte des Gegners getragen werden, wo die Hansaangreifer den Ball bereits erwarten würden.

Es war “Hansasonntag”. Der Berliner Fußballverband hat die Heimspiele von Hansas Erster und Zweiter Mannschaft in dieser Saison allesamt auf den gleichen Termin gelegt. Dementsprechend voll war es an der Wrangelritze. Einige mutmaßten die Zuschauerzahlen wären im dreistelligen Bereich gewesen. Jedenfalls war die Stimmung abseits des Kunstrasens überschwänglich.

15:30 Uhr: Hochkonzentriert vernahmen die Hanseaten an diesem Sonntag den Anpfiff des Referees zur Auftaktpartie der neuen Saison. Die anfängliche Ruhe wich schnell einer Vielzahl von Kommandos und taktischen Anweisungen. Hansa übte von Beginn an Druck aus und kam einige Male zu guten Gelegenheiten, bevor Emmerling bereits nach fünf Minuten den Ball erfolgreich im gegnerischen Netz unterbrachte. Die Mannschaft setzte nach und entfachte ein spielerisches Feuerwerk. Es wurde schnell verschoben und mit elegantem Kurzpass- und Kombinationsspiel das Mittelfeld überbrückt. Die Kicker von der Wrangelritze kontrollierten das Geschehen. Viktoria Mitte nahm zu diesem Zeitpunkt nicht am Spiel teil. Sie mögen sich gefühlt haben wie die Gegner der Furia Roja, die, wie Mehmet Scholl es einmal ausdrückte, über weite Strecken vom Spiel ausgeschlossen bleiben und gesetzt den Fall, sie gelangten doch einmal in Ballbesitz, frustriert feststellen müssen, dass elf Spanier vor ihnen stehen und das Tor noch 70 Meter entfernt ist. Folgerichtig wurden die Angriffsbemühungen der Hansa Elf belohnt und Bußmann erhöhte in der 9. Minute aus halblinker Position auf 2:0. Kurz darauf verhalfen die Hanseaten einer alten Fußballweisheit zu ihrer Erfüllung: Denn wer vorne kein Tor erzielt wird oft dafür bestraft. Und so nahm ein Tor der Wrangelkicker im eigenen Sechzehnmeterraum seinen Anfang, als ein Angriff der Viktoria im letzten Moment gestoppt werden konnte. Einige Spieler der Rot-Weißen wollten ein Foul erkannt haben und lamentierten mit dem Schiedsrichter. Dessen unbeeindruckt setzte Hansa das Spiel fort und gelangte mit zwei Pässen vor das Tor des Gegners. Schumann wurde mustergültig bedient und erzielte aus kurzer Distanz das 3:0. Es war die 11. Spielminute. Die Viktoria war überrumpelt.

Hier hätte das Spiel zu Ende sein können. Es waren keine zwanzig Minuten vergangen und bislang dominierte Hansa das Geschehen vollkommen. Viktoria Mitte war bis dahin allenfalls eine Randerscheinung. Doch Hansa wäre nicht Hansa, wären da nicht . . . Und so nahm das Unglück seinen Lauf.

Nachdem das 3:0 gefallen war, schwörten sich die Spieler gegenseitig darauf ein so weiter zu spielen wie zuletzt, als wäre nichts gewesen. “Es steht immer noch 0:0”, schallte es über den Platz. Doch es half nichts! Allen Bemühungen zum Trotz verlor Hansa nach und nach ihre Linie. Die Mannschaft wurde nervös. Es schlichen sich Fehler ein und Viktoria fand ins Spiel zurück. Nach einer halben Stunde leitete eine Standardsituation den Auftakt des sich anbahnenden Dramas ein: Ein scharf in den Sechzehner getretener Eckball wurde abgefälscht und überraschte den bis dahin souverän spielenden Innenverteidiger Labude, der den Ball woanders erwartet hatte. Ein Viktoria Stürmer schaltete am schnellsten und verkürzte in der 32. Minute auf 3:1. Anschließend stemmten sich die Hanseaten gegen eine clever kombinierende Mannschaft aus Mitte, die sich ihrer eigenen Qualitäten bewusst wurde und Hansa nun ihr Spiel aufzwang. Viktoria gewann mehr Zweikämpfe und erspielte sich durch zunehmenden Ballbesitz mehr und mehr Selbstvertrauen. Mit langen Pässen verlagerten sie ein ums andere Mal geschickt das Spiel von Flügel zu Flügel. Nichtsdestotrotz, Hansas Defensive stand und Viktoria kam kaum zu zwingenden Torchancen.

Wieder verhalf eine Standardsituation dem Drama zu seiner Entfaltung: Sekunden vor der Halbzeit kam ein Spieler der Viktoria an Hansas Strafraumgrenze zu Fall, woraufhin der Schiedsrichter einen umstrittenen Freistoß ausführen ließ. Es war die 45. Spielminute als der Schütze den Ball an der Mauer vorbei ins Tor der Heimmannschaft bugsierte. Nur noch 3:2. Halbzeit.

 

So fulminant Hansas Auftritt Anfang der ersten Hälfte war, kehrte nun die Viktoria ins Spiel zurück. Trotz aller Vorgaben und Ermahnungen während der Halbzeitpause fand Hansa nicht zu ihrem taktischen Konzept. Viktoria war entschlossener und diese Entschlossenheit traf auf eine zu diesem Zeitpunkt unsortierte Hintermannschaft, die der Viktoria nichts entgegenzusetzen hatte. Konsequenterweise erzielten die Gäste in der 47. Minute den 3:3 Ausgleichstreffer. Der psychologische Vorteil war nun eindeutig bei den Rot-Weißen. Es dauerte nur wenige Minuten bis diese erneut gefährlich vor das Tor der Hanseaten kamen. Eine Flanke aus dem Halbfeld erreichte in der 53. Minute einen ungedeckten Viktoria Angreifer, der aus elf Metern einköpfte. 3:4. Das Spielgeschehen war auf den Kopf gestellt. Hansa hatte einen 3:0 Vorsprung verspielt und geriet gar in Rückstand.

Nun wurde es ein Spiel mit offenem Visier zweier offensiv aufspielenden Mannschaften. Hansa sah sich mit einem Desaster konfrontiert, doch die Spieler waren fest entschlossen dieses abzuwenden. Die Kreuzberger Kicker besannen sich auf ihre Stärken und nahmen die Zweikämpfe wieder an. Zudem wurde ein konsequentes Pressing bereits am gegnerischen Sechzehnmeterraum praktiziert, bei dem Hansas einzige Spitze A. Hoss die gegnerischen Verteidiger zunehmend unter Druck setzte. Diese wussten sich oftmals nur durch unkontrollierte Befreiungsschläge zu helfen. Hansa forderte der Viktoria nun ein ums andere Mal den Ball ab und wurde dafür kurze Zeit später belohnt, als Bußmann zum 4:4 (63.) traf. Bußmann sollte von nun an den Unterschied ausmachen. Immer wieder setzte er sich und seine Mitspieler durch starke Dribblings und Passstaffeten in Szene und tauchte gefährlich vor dem Gästetor auf. In der 70. Minute vollbrachte er, was viele längst für unmöglich hielten: Nach einem verunglückten Ball der Viktoria erzielte er den erneuten Führungstreffer für die Hansa, indem er den Ball aus ca. 30 Metern über den zu weit vor dem Tor stehenden Viktoria-Schlussmann bugsierte. 5:4.

Doch wer nun glaubte, das Spiel habe seinen Höhepunkt erreicht und sei zu einem für die Hansa würdigen Ende gekommen, sah sich getäuscht. Hansa machte weiter Druck, doch die Gäste spielten angesichts des Rückstands ebenfalls wieder nach vorn. Es war ein offener Schlagabtausch, indem Viktoria wiederum ihre Offensivqualitäten unter Beweis stellte. Eine Unaufmerksamkeit in der zu weit aufgerückten Hansadeckung wurde umgehend genutzt, der diagonal durch die Viererkette gepasste Ball fand seinen Abnehmer, der in der 82. Minute den 5:5 Ausgleich markierte. Auch danach spielten beide Mannschaften auf Sieg. Das Match gewann zunehmend an Härte, die Fouls häuften sich und in der 85. Spielminute wurde ein Spieler der Viktoria nach wiederholtem Foulspiel mit Gelb-Rot vom Platz geschickt.

Die Hanseaten nutzten ihre numerische Überlegenheit und störten das Spiel des Gegners in der Schlussphase weit in deren Hälfte. Wieder provozierte Hoss’ Pressing einen Viktoria Verteidiger zu einem Fehlpass im Aufbauspiel, den Bußmann erlaufen konnte. Mit einem Solo umkurvte er Viktorias Hintermannschaft und verwandelte kaltschnäuzig zum 6:5 (86.) Endstand.

Die feste Entschlossenheit der Hansa Elf, das Spiel auch nach wiederholten Rückschlägen gewinnen zu wollen sowie ein überragender T. Bußmann besorgten letztlich das gerechte Happy End in einem packenden Fußballkrimi an der Wrangelstraße. Die Berliner FuWo versäumte es zwar an diesem Wochenende Bußmann in die Elf des Spieltags zu wählen, aber er wird in Zukunft mit Sicherheit Gelegenheit dazu geben diesen Fehler zu korrigieren.

Der eigentliche Tatort fand am Sonntag in Berlin statt, daran konnten auch die Stuttgarter Kommissare nichts ändern.

 

Aufstellung: D. Lauer – M. Helleberg, B. Bublak, D. Labude, P. Meiser (45. J. Möller) – A. Behrendt (45. M. Brunnert, R. Emmerling – K. Schumann (65. M. Netz), T. Bußmann, F. Engel – A. Hoss

Gelbe Karten: Emmerling

Torschützen: 1:0 Emmerling (5.), 2:0 Bußmann (9.), 3:0 Schumann (11.), 3:1 (32.), 3:2 (45.), 3:3 (47.), 3:4 (53.), 4:4 Bußmann (63.), 5:4 Bußmann (70.), 5:5 (82.), 6:5 Bußmann (86.)

Spieler des Spiels: Tobias Bußmann und André Hoss

Autor: David Labude